Früh haben wir die Erfahrung gemacht, dass unsere Grenzen nicht respektiert werden und daher nicht relevant sind.
Dagegen konnten wir uns in unserer Kindheit kaum wehren, wir mussten uns arrangieren. Dieses Gefühl der Irrelevanz hat uns geprägt, sodass wir kein klares Bewusstsein für unsere Grenzen entwickeln konnten und sie bis heute oft nicht ernst nehmen. So opfern wir unsere Grenzen häufig der Prämisse, Erwartungen zu erfüllen, nicht anzuecken oder zu enttäuschen – insbesondere in unseren Rollen im Alltag.
Dies führt dann zu einer Gegenreaktion im Privatleben. Dort weisen wir dann unsere Mitmenschen mit großem Sicherheitsabstand bereits weit vor der Grenze ab: Zum einen wissen wir gar nicht, wo die Grenze genau ist, zum anderen fürchten wir, die Grenze nicht verteidigen und damit das Überschreiten nicht verhindern zu können. Da jedoch emotionale Berührung und wirkliche Begegnung nur an oder auf der Grenze stattfinden, blieben sie uns verwehrt.
So stellen sich zwei Fragen:
1. Wie können wir ein sicheres Gespür für unsere Grenzen entwickeln?
Zunächst ist die Grundüberzeugung wichtig, dass unsere Grenzen selbstverständlich relevant sind. Wir haben nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, sie zu schützen.
Es gibt für unsere Grenzen genau einen Kompetenzträger: Unser Gefühl. Der Verstand ist hier so inkompetent wie gesellschaftliche Normen und gefühlte Pflichten irrelevant sind. Das Vertrauen auf unser Gefühl wird uns mit der Herausforderung konfrontieren, dass die unsere Grenzen weder berechenbar noch statisch sind: Je nach Situation, je nachdem, wie wir gerade in unserer Kraft sind, je nach unserem Gegenüber ist unsere Grenze mal hier, mal dort. Da, wo sie jeweils ist, ist sie meist genau richtig. Wenn wir zum Beispiel mit einer neuen Bekanntschaft gern knutschen und fummeln, aber keinen Sex wollen, dann ist unsere Grenze an diesem Punkt genau richtig; und für unsere Grenze sind wir verantwortlich, für die Erwartungen unserer Bekanntschaft nicht.
Weiterhin können wir das Gespür für unsere Grenzen durch einen guten Zugang zu unseren Bedürfnissen fördern. Dazu mehr im nächsten Blogbeitrag…
2. Wie können wir also unsere Mitmenschen an unsere Grenze heranlassen, ohne eine Verletzung zu riskieren?
Auch hier geht es darum, unsere Grenzen anzunehmen – ohne Zweifel oder schlechtes Gewissen. Dies erleichtert die Selbstverantwortung, mit der wir die jeweilige Grenze klar und verbindlich kommunizieren und im Zweifelsfall verteidigen können.
Mit dieser Klarheit und Selbstverständlichkeit ist es nicht nur möglich, unsere Mitmenschen an unsere Grenze heranzulassen und ihnen dort zu begegnen. Auch können wir und mit tänzerischer Leichtigkeit auf der Grenze bewegen – vielleicht mal bewusst herüberhüpfen und wieder zurückkommen…